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Auf seinen Spaziergängen lief er weit in den Raum und die Einsamkeit. Einmal blieb er auf einem Hügel stehen, abseits der Stadt und der Straße. Der Tag war trübe und unbestimmt, als ob die Zeit nicht mehr weiterginge, - an solchen Tagen schlummern Pflanzen und Tiere, und die Menschen denken an die Seele der Eltern. Pruschewskij schaute still auf das ganze umnebelte Alter der Natur und sah an ihrem Ende weiße ruhige Gebäude, die stärker leuchteten, als Licht in der Luft war. Er kannte keinen Namen für diese vollendete Anlage und nicht ihre Bestimmung, obwohl man verstehen konnte, dass jene fernen Gebäude nicht nur zum Nutzen eingerichtet sind, sondern auch zur Freude. Pruschewskij beobachtete mit der Verwunderung eines Trübsal gewohnten Menschen die exakte Zartheit und die erkaltete, geschlossene Kraft der fernen Monumente. Er hatte solche Zuversicht und Freiheit in gemauerten Steinen noch nicht gesehen und kannte kein Leuchtgesetz für die graue Farbe seiner Heimat. Wie eine Insel stand inmitten der übrigen neu zu errichtenden Welt dieses Baumotiv und leuchtete beruhigt. Doch nicht alles war weiß an jenen Gebäuden - hier und da hatten sie blaue, gelbe und grüne Farbe, was ihnen die absichtsvolle Schönheit einer Kinderzeichnung gab. „Wann wurde denn das erbaut?“ sagte Pruschewskij betrübt. Ihm war es behaglicher, Schmerz zu empfinden auf dem erloschenen Erdenstern; fremdes und fernes Glück erregte in ihm Scham und Unruhe; er würde wollen, dessen nicht gewahr, dass die ewig in Bau befindliche und noch erbaute Welt seinem zerstörten Leben ähnlich wäre.
Er schaute noch einmal aufmerksam auf jene neue Stadt und wollte sie weder vergessen noch sich irren, doch die Gebäude standen weiter hell, als wäre um sie nicht die Trübe der russischen Luft, sondern kühle Lauterkeit.

Andrej Platonov, Die Baugrube (1930) Suhrkamp, 2016, S.74

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Jetzt zuckten gabelschwänzige Rauchschwalben mit der Purpurbrust über das Himmelblau des wilden Gamanders und kündigten mit ihren Wohnungen unsre an: als seine Straße durch ein zerstörtes altes offnes, von fetten dicken Blättern wie Schuppen behangnes Schloß durchwollte, an dessen Ein- oder Ausgange ein wegweisender roter Arm sich mit der weißen Aufschrift: “Weg aus dem Tartarus ins Elysium“ gegen eine nahe Waldung ausstreckte.
Sein Herz fuhr auf bei dieser doppelten Nähe so verschiedener Tage. Mit weiten Schritten drang er gegend den Elysiums-Wald, den ein breiter Graben abzuschneiden schien. Aber er kam bald aus dem Buschwerke vor eine grüne Brücke, die sich in den Bogen der Riesenschlange über den Graben, aber nicht auf die Erde, sondern in den Gipfel schwang. Sie trug ihn durch die hereinblühende Wildnis von Eichen-, Tannen-, Silberpappeln-, Frucht- und Linden-Wipfeln. Dann hob sie ihn hinaus in die freie Gegend, und Lilar warf ihm schon von Osten über die weite spitzige Gipfel-Saat den Glanz einer hohen Goldkugel entgegen. Die Brücke senkte sich mit ihm wieder ins duftende dämmernde Geniste, und unter und neben ihm riefen und flatterten die Kanarienvögel, Singdrosseln, Finken und Nachtigallen, und die geätzte Brut schlief gedeckt unter der Brücke. Endlich stieg diese nach einem Bogengange wieder ans Licht - er sah schon die grünende Bergkuppe mit dem weißen Altar, woran er in einer jugendlichen Nacht gekniet hatte; und mehr südlich hinter sich die Decke und Scheidewand des Tartarus, einen hochaufgebäumten Wald - und wie er weitertrat, deckte sich ihm das Elysium weiter auf - eine Gasse kleiner Häuser mit welschen Dächern voll Bäumchen lachte den Blick freudig und einheimisch aus der grünen Weltkarte von Tiefen, Hainen, Bahnen, Seen an - und in Morgen schlossen fünf Triumphtore dem Auge die Wege in eine weitausgespannte, wie ein grünendes Meer fortwogende Ebene auf, und in Abend standen ihnen fünf andere mit geöffneten Ländern und Bergen entgegen.—

Jean-Paul, Titan (1800), Werke in drei Bänden, München 1986, II, S.198ff
 



Die Offenbarung des Johannes

21 Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, auch das Meer ist nicht mehr. Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat. Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu. Und er sagte: Schreib es auf, denn diese Worte sind zuverlässig und wahr. Er sagte zu mir: Sie sind in Erfüllung gegangen. Ich bin das Alpha und Omega, der Anfang und das Ende. Wer durstig ist, den werde ich umsonst aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt. Wer siegt, wird das als Anteil erhalten: Ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein. Aber die Feiglinge und Treulosen, die Befleckten, die Mörder und Unzüchtigen, die Zauberer, Götzendiener und alle Lügner - ihr Los wird der See von brennendem Schwefel sein. Dies ist der zweite Tod. Und es kam einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen mit den sieben letzte Plagen getragen hatten. Er sagte zu mir: Komm, ich will dir die Braut zeigen, die Frau des Lammes. Da entrückte er mich in der Verzückung auf einen großen, hohen Berg und zeigt mir die heilige Stadt Jerusalem, wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Sie glänzte wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Japsis. Die Stadt hatte eine große und hohe Mauer mit zwölf Toren und zwölf Engeln darauf. Auf die Tore sind Namen geschrieben: die Namen der zwölf Stämme der Söhne Israels. Im Osten hat die Stadt drei Tore und im Norden drei Tore und im Süden drei Tore und im Westen drei Tore. Die Mauer der Stadt hat zwölf Grundsteine; auf ihnen stehen die zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes. Und der Engel, der zu mir sprach, hatte einen goldenen Meßstab, mit dem die Stadt, ihre Tore und ihre Mauer gemessen wurden. Die Stadt war viereckig angelegt und ebenso lang wie breit. Er maß die Stadt mit dem Meßstab; ihre Länge, Breite und Höhe sind gleich: zwölftausend Stadien. Und er maß ihre Mauer; sie ist hundertvierundvierzig Ellen hoch nach Menschenmaß, das der Engel benutzt hatte. Ihre Mauer ist aus Japsis gebaut, und die Stadt ist aus reinem Gold wie aus reinem Glas. Die Grundsteine der Stadtmauer sind mit edlen Steinen aller Art geschmückt; der erste Grundstein ist ein Jaspis, der zweite ein Saphir, der dritte ein Chalzedon, der vierte ein Smaragd, der fünfte ein Sardonyx, der siebte ein Chrysolith, der achte ein Beryll, der neunte ein Topas, der zehnte ein Chrysopras, der elfte ein Hyazinth, der zwölfte ein Amethyst. Die zwölf Tore sind Perlen; jedes der Tore besteht aus einer einzigen Perle. Die Straße der Stadt ist aus reinem Gold, wie aus klarem Glas. Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel, er und das Lamm. Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm. Die Völker werden in diesem Licht einhergehen, und die Könige der Erde werden ihre Pracht in die Stadt bringen. Ihre Tore werden den ganzen Tag nicht geschlossen - Nacht wird es dort nicht mehr geben. Und man wird die Pracht und die Kostbarkeiten der Völker in die Stadt bringen. Auch nichts Unreines wird hineinkommen, keiner, der Greuel berübt und lügt. Nur die, die im Lebensbuch des Lammes eingetragen sind, werden eingelassen.




 

...
Aber wie festlich, wie lebendig ist alles um ihn her! Auf den Wassern, die durch die Haine glänzen, ziehen Schwanen, in die Büsche schreitet der Fasan, Rehe blicken hinter ihm neugierig aus dem Walde, über den er gegangen war, und weiße und schwarze Tauben laufen emsig unter den Toren, und an den Abendhügeln hängen rufende Schafe neben liegenden Lämmern; sogar der Turteltaube zittert in irgendeinem verhüllten Tale die Brust vom Languido der Liebe. Er schritt durch ein langes hochstaudiges Rosenfeld, das die Niederlassung und Pflanzstadt von Grasmücken und Nachtigallen schien, die aus den Büschen auf die wachsenden Grasbänke hüpften und vergeblich ausliefen nach Würmchen; und die Lerche zog oben über diese zweite Welt für die frömmern Tiere und fiel hinter den Toren in die Saat nieder.

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Jean-Paul, Titan (1800), Werke in drei Bänden, München 1986, II, S.199

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