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Giorgio Agamben, Die kommende Gemeinschaft, 2003
MERVE Berlin, S.72



Als Guy Debord 1967 Die Gesellschaft des Spektakels veröffentlichte, hatte die Umwandlung der Politik und des gesamten gesellschaftliche Lebens in eine spektakuläre Phantasmagorie noch nicht jene Formen angenommen, mit denen man heute vollkommen vertraut ist. Umso bemerkenswerter erscheint die schonungslose Deutlichtkeit seiner Diagnose.

Die äußerste Form des Kapitalismus - so seine aus der Radikalisierung der in jenen Jahren törichterweise vernachlässigten Marxschen Analyse des Fetischcharakters der Ware abgeleitete Folgerung - stellt sich als eine immense Akkumulation von Bildern dar, in der alles, was unmittelbar erlebt wurde, in eine Repräsentation verschoben wird. Deshab fällt das Spektakel jedoch nicht einfach mit der Sphäre der Bilder oder mit dem, was wir heute Medien nennen, zusammen: Es ist „ein durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen“, die Enteignung und Entfremdung menschlicher Geselligkeit selber. Oder, auf eine lapidare Formel gebracht: „Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Akkumulation, daß es zum Bild wird.“ Doch eben darum ist das Spektakel nichts als Trennung in ihrer reinsten Form: Wo sich die wirkliche Welt in ein Bild verwandelt hat, und die Bilder wirklich geworden sind, löst sich die praktische Potenz des Menschen von sich selbst ab und erscheint als eine Welt für sich.
In Gestalt dieser abgetrennten und von den Medien geordneten Welt, in der sich die Form des Staates und die der Ökonomie durchdringen, erlangt die Marktwirtschaft ihren Status absoluter und von jeglicher Verantwortung entbundener Souveränität über das gesamte gesellschaftliche Leben. Nachdem es die Produktoon insgesamt pervertiert hat, kann es nun die kollektive Wahrnehmung manipulieren und sich des kollektiven Gedächtnisses und der gesellschaftlichen Kommunikatione bemächtigen, um sie in einen einzigen spektakulären Markt zu verwandeln, auf dem alles zur Disposition steht, außer dem Spektakel selbst, das an sich nichts anderes sagt, als: „Was erscheint ist gut, was gut ist erscheint.“


 

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Die Bilder, die sich von jedem Aspekt des Lebens abgetrennt haben, verschmelzen in einem gemeinsamen Lauf, in dem die Einheit dieses Lebens nicht wiederhergestellt werden kann. Die teilweise betrachtete Realität entfaltet sich in ihrer eigenen allgemeinen Einheit als abgesonderte Pseudowelt, Gegenstand der bloßen Kontemplation. Die Spezialisierung der Bilder der Welt findet sich vollendet in der autonom gewordenen Welt des Bildes wieder, in der sich das Verlogene selbst belogen hat. Das Spektakel überhaupt ist, als konkrete Verkehrung des Lebens, die eigenständige Bewegung des Unlebendigen.
Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels, 1967

 

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